Auch wenn sich um das Steak Tatar viele Legenden ranken – es ist eine Erfindung moderner Zeiten. In den Kochbüchern taucht es Mitte des 19. Jahrhunderts auf, also zu einer Zeit, als die Kühltechnik im größeren Maßstab ihre Anfänge nahm. Üblicherweise wird es aus Rindfleisch bereitet. Es ist überaus spannend, dass gehacktes, rohes Rindfleisch rund um den Erdball gegessen wird. Der französische Name “ filet américain“, der in den Beneluxländern gebraucht wird, mag auf Amerika als Erfinder hinweisen. Trotzdem gibt es rohes, gehacktes Rindfleisch auch in Chile, Korea, Ethiopien und den Küchen der Levante. Zum Original aus Rindfleisch komme ich später noch einmal zurück. Mitlerweile wird nahezu jedes Gehackte als Tatar bezeichnet.
In diesem Fall möchte ich mich mit Tatar vom Kalb beschäftigen. Kalbstatar ist es sehr feines und daher ein Gericht für den Sommer, dessen letzte Tage wir aktuell erleben. Zu starke Aromen erschlagen den zarten Geschmack. Daher paart man es besser mit zartem Grün, unaufgdringlichen Begleitern oder sogar Meeresfrüchten. Wie auch beim Carpaccio muss das Fleisch für den Rohverzehr geeignet sein. Hier allerdings noch mehr! Durch das Hacken oder Durchdrehen vergrößert sich die Oberfläche des Fleisches gewaltig und Keime von aussen gelangen nach innen. Im Vergleich zum Rind enthält Kalb auch mehr Wasser, so dass absolute Frische ein Muss ist. Schwangere oder Menschen mit angeschlagener Gesundheit sollten generell auf rohes Fleisch verzichten. Die anderen werden durch den sehr feinen Geschmack belohnt. Das Tatar sollte möglichst erst kurz vor dem Servieren hergestellt werden. Es läßt sich sicherlich ein bis zwei Stunden im Voraus bereiten, dann jedoch muß man auf den Trick des Metzgers zurückgreifen, den dieser für sein Mett benzutzt: Nitritpökelsalz. Das Nitrit sorgt für eine schöne rosa Farbe und tötet schädliche Bakterien ab. Man kann versuchen es beim Metzger zu bekommen. Ersetzten sie dann die Hälfte des Salzes mit Nitritpökelsalz in den Rezepten. Während meines Experimentierens mit Kalbstatatar verging zwischen zwei Schritten ein wenig Zeit und als ich das unbehandelte Tatar aus dem Kühlschrank holte, war es grau angelaufen. Mit Hilfe von Salz und Olivenöl verschwand die graue Farbe jedoch zügig und das Tatar wurde wieder rosa.
Es gibt zwei Möglichkeiten das Kalbfleisch zu Tatar zu machen und beide benötigen unterschiedliches Fleisch. Für die schnelle Variante – oder wenn man viele Portionen vor sich hat – empfiehlt sich der Fleischwolf. Das von allen Sehnen und Fett befreite Fleisch wird einmalig durch die mittlere Scheibe des Wolfes gedreht. Damit hier kein unansehnlicher Brei herauskommt, muss man Fleisch mit einem höheren Bindegewebsanteil nehmen. Filet würde hier zerstört. Das Bindegewebe muss aber fein im Fleisch verteilt sein, damit man nicht (wie bei schlechtem Mett) die Fasern zwischen den Zähnen hat. Mein Favorit an dieser Stelle ist das „falsche Filet“ aus der Kalbsschulter (Schulterfilet). Es wird von einer kräftigen Sehne durchzogen, die man besser vorher enfernt. Das Schulterfilet hat seinen Namen nur von der Form. Auch Kalbfleisch aus der Wade geht für dieses Gericht. Man muss nur darauf auchten, dass das Fleisch fest und fettfrei ist. Das Fleisch wird in grobe Würfel geschnitten und kann gesalzen werden, bevor es durch den Wolf gedreht wird. Ich mache das erst beim Anrichten.
Die zweite Möglichkeit ist für kleinere Portionen geeignet: Filet vom Kalb wird mit einem (oder zwei!) Kochmessern fein gewiegt. Das geht wirklich nur kurz vor dem Servieren und bietet ein unvergleichliches Mundgefühl. Handgewiegtes Tatar würde ich dem Durchgedrehten immer vorziehen. Im folgenden meine beiden liebtsten Rezepte:
Lombardisches Kalbstatar
Die Lombardei grenzt an die Schweiz und liegt im hohen Norden Italiens. Hier vereinen sich Europas Norden und der Süden. Und das Tatar ist einfach. Pro Person rechnet man als Vorspeise eteas 100 bis 120g Kalbfleisch. Das Fleisch wird kurz vor dem Servieren zu Tatar verareitet und pro Person mit 1 EL bestem Olivenöl, 1/2 TL Zitronensaft, Salz, Pfeffer und á Person einem EL geriebenen Grana Padamo und Basilikum in feinen Streifen abgeschmeckt. Angerichtet wird das Tatar mit Hilfe von Vorspeisenringen auf einen Salat aus Rucola und iltalienischen Kräutern. Dann noch ein paar Parmesanspäne drüber hobeln. Dazu passt ein Pinot grigio, der rosa kekeltert wurde. Aber auch ein zarter weisser Burgunder oder ein Spätburgunder Weissherbst aus Baden.
Kalbstatar mit Kaviar
Das ist vom Mundgefühl und Geschmack eines der unwiederstehlichsten Gerichte, die ich kenne! Nehmen sie das Kalbstatar und machen es nur mit Salz, Pfeffer und Olivenöl an. In meinem Beispiel serviere ich es mit Ketakaviar (vom Lachs), frischen Feigen und gebratener Garnele (und etwas Creme fraiche). Unvergleichlich ist es auf Brioche serviert, angerichtet mit Forellenkaviar und Kalbsglace. Letzte Variante habe ich im „Living Room“ in meiner Heimatstadt Bochum zuerst probiert. Es ist eine unvergleichliche Kombination. Der salzige Kaviar mit seinen, im Mund platzenden Bläschen, ist eine ideale Kombination mit Kalbstatar.