Die Blätter färben sich und, bevor sie fallen, zeigen sie sich noch einmal in aller Schönheit. Nicht im sanften Gelbgrün des Frühlings, sondern in den goldenen und roten Farben des Herbstes. Jede Jahreszeit hat etwas für sich. Es gibt keine, die ich nicht mag. Und als Herbstkind mag ich dieses letzte Erblühen vor dem Winter besonders gern. Für viele Menschen bedeutet Herbst den Anfang vom Ende. Meine Kollegin und Freundin Kerstin sieht im Herbst ein „Absterben“. Und doch töten weder Herbst noch Winter. Trotzdem scheinen diese Themen präsenter, als in jeder anderen Jahreszeit. Und wenn man sich durch die Lyrik der Romantik (die ich sehr schätze) arbeitet, so findet man im Herbst mehr als einmal die Gedanken an Verfall und Ende, Endlichkeit der Dinge, Vorboten eines grausamen Winters.
Und doch ist Herbst nicht das Absterben und das Endliche! Herbst ist noch einmal Pracht und Aufleben.Und nirgends kann man dies so gut verstehen, wie in Neu England, wo auf den „Indian Summer“ oft der erste Schnee und der harte, kalte Winter folgt. Anfang Oktober wird es noch einmal warm und die Natur kleidet sich in aller Pracht in die leuchtensten Farben. Von Gold über eindringliches Rot bis Terracotta. In diesem Jahr hatte ich das Glück den Beginn des Herbstes in Vermont, New Hampshire und Quebec erleben zu können. Herbst ist Vielfalt, Herbst ist Farbenpracht! Herbst ist Fülle!
Sicherlich, der Fokus, die Sicht auf die Dinge ändert sich. Im Herbst wird um uns erkenntlich, dass alle Dinge auf Erden endlich sind. Sind sie es wiklich? Ich habe vorgestern etwas irritiert ein Schild an einer Baumschule wahrgenommen: „Herbst ist Pflanzzeit“. Im Herbst legen wir die Blumenzwiebeln in die Erde, damit es einen Frühling gibt. Herbst ist für uns nowendig – und Winter auch. Wenn die Abende länger werden, beginnt die Zeit der Rückbesinnung, die Zeit, die für einen Frühling notwendig ist. Im Herbst ziehen aus den Mooren um Hannover die Nebel durch die Täler, bis eine blasse Sonne sie auflöst. Herbst bedeutet, dass die Dunkelheit immer früher kommt, bedeutet Kerzenlicht. Herbst bedeutet trotzdem Wärme.
Und erneut: Herbst bedeutet Fülle: Und diesmal im kullinarischen Sinne. George Washington schlug einen Feiertag zum Erntedank am 03.Oktober vor. Das „Thanksgiving“ ist seit Mitte des 20 Jahrhunderts auf den 4. Donnserstag im November terminiert worden. In dieser Zeit herrscht Überfluß in der Speisekammer. Es ist die Zeit der Kürbisse, der Maronen, das erste Wild kommt auf den Tisch und die letzten Freilandpilze. Wein wird gekeltert, Cidre ebenso. Dies ist die goldene Zeit. Jetzt kann man sich Zeit nehmen: Zum Schmoren, zum Einkochen, für alle Arten des langsamen Kochens. Im Herbst tickt die Küchenuhr deutlich langsamer. Für uns Hektiker ist es eine wichtige Zeit! Zurück zur Langsamkeit. Zurück zum guten Buch bei Kerzenschein. Zurück zum Rotwein vor dem Kamin (oder einem heißen, gewürzten Cidre), Zurück zum Innehalten, sich Zeit nehmen, zur notwendigen Selbstpflege. Nehmen Sie sich nur einmal Zeit für einen 5 Uhr Tee. Oder für einen Spaziergang im Nebel am Fluss. Oder einfach für sich selbst.
Herbst ist die optimale Zeit für Tee und Kuchen, Gewürze, wie Zimt, Piment, Kardamon und Nelken. Im Herbst kommt die Wärme von innen. Im Sommer trinke ich selten Whisky. Herbst und Whisky passen gut zusammen. Und es dürfen gern die etwas volleren sein: Alter Glenfarclas aus dem Sherryfass, Bowmore Enigma und gern ein kanadischer Rye – nur, dass der in Deutschland selten in guter Qualität zu bekommen ist. Mein absoluter Liebling bleibt seit mehr als 10 Jahren „Gibson’s finest rare 18 years old. Leider ist der ausserhalb Ontarios fast nicht zu bekommen… . Was ich ebenfalls in Ontario zu schätzen gelernt habe, ist warmer Cirdre mit Gewürzen. Das ist kaum mit Glühwein zu vergleichen. Herbst ist eine schöne Jahreszeit. Zeit für die eigene Seele. In in der Küche kann man sich mit voller Herzenslust ausleben. Im Herbst kommt die Wärme eben von innen.
Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!
Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.
Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen!
Theodor Storm, 1848